Kritik von Erkenntnistheorie


Beachtet man die reflexive Verfahrensart der Vernunfterkenntnis aus Begriffen von Ideen und Vermögen und damit die Teilhabe der Vernunft an der reflektierenden Urteilskraft als Methode der Kritik nicht, dann ist man schnell geneigt, Kants transzendentale Erkenntnisverfahren als Erkenntnistheorie zu lesen – das Problem des Neukantianismus – und die „zwei Stämme“ nicht als Resultat einer Unterscheidungsreflexion auf die in der Idee als erfüllt angenommenen Gegenstandserfahrung hin zu begreifen, sondern als eine „anthropologische Voraussetzung, die Kant da mache, sich dann wundernd, dass er an anderem Stellen von „drei Grundquellen“ unserer Erkenntnisvermögen spricht. (1)

Heidegger hat sich, angeregt durch Schelling, nun in berechtigter Kritik am Marburger Neukantianismus und dessen Versuch, die reinen Anschauungsformen von den Kategorien her abzuleiten, dazu verleiten lassen, die beiden Stämme, Verstand und Sinnlichkeit, aus „einer Wurzel“, der transzendentalen Einbildungskraft, als vereinigt gegründet zu denken, und verfehlt damit die Eigenart der in ihrer Kritik nur als gegründet zu wahrenden Einheit der Vermögen. Denn diese erhalten allein dadurch Einheit, daß ein jedes das eigene Maß in Teilhabe an einer Selbsterkenntnis erhält und auf Begriffe zu bringen ermöglicht, die für das je selbständige sich Verhalten orientierend sein und als Grenze nur gegenüber jenen anderen Vermögen bestimmen kann, an denen es für die umgrenzend einteilungswahrende Einheit zugleich teilhaben muß: die Vermögen der Maßerkenntnis, der Begrenzung, der Einteilung und wieder der Integration sind Vermögen, die selbst die grundlegenden Funktionen für ihre Einheit und Selbstgemäßheit ausüben und können darum keiner ihnen übergeordneten Einheit nur untergeordnet sein. Sie sind darum durch ihre Begriffe in Bedeutung ihrer selbst innerhalb der Vermögenseinheit zu situieren als jeweils eine notwendige, unverzichtbare Funktion in einem Ordnungsgefüge ausübend, das durch sie bedingt ist.

Die Einheit als ursprünglich gründende Ordnung muß darum als ein Gefüge von Bedingungen sich zeigen, das genau darin sein Unbedingtheit bewährt, dass in ihm alle unbedingt in Anspruch zu nehmenden Bedingungen berücksichtigt werden, auf daß auch nur eines davon es selbst sein und als bewußt und begreiflich zu sein, als solches ausgeübt werden kann. Es muß sich als ein Gefüge von „nicht zu vernachlässigenden Bedingungen“ (2)  ausweisen, schließt darum Weisen der Achtung und der Anerkennung ein, die zur Sorgfalt im Gebrauch der Begriffe verpflichten.

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1 vgl.     Heidegger; Kant und das Problem der Metaphyik § 26ff 

2 Siegfried Unseld