Teilhabestrukturen des Selbstseins


3. Strukturen vierteiliger Einteilung und dreifaltiger Teilhabe

3.1

Suchten wir, wie wir dies in der Tat zunächst nicht anders ansetzen können, die Bestimmungsleistung von Begriffen (von Prinzipien und Vermögen des Erkennenkönnens und des Erkennbarseins) durch Formen der verständig urteilenden Bestimmung zu bewältigen, führte uns dies zunächst wieder in jene Aporien, wie sie Sokrates uns in den Fragen, was ist Tugend, was ist Gerechtigkeit, beispielhaft zu erkennen gab. Wir finden die Grundeinsichten jeder philosophischen Anforderung von Bildung eines Methodenwissens der Begriffsbestimmung in den sokratischen Frühdialogen Platons. Eine Lösung bietet die diakritische Verfahrensweise des Sophistes mit ihrer Einteilung des Seienden nach Vermögen (dúnamiV), zu denen auch die Vermögen der Erkennbarkeit des zu Erkennenden, nicht nur die von handelnden Subjekten der Erkenntnis gehören. Dessen Reflexionseinsichten aber wurden – philosophiegeschichtlich – erst wieder mit Kant erreicht, der in der Kritik der reinen Vernunft die Entwicklung eines Wissen von Regeln der Logik mit Einteilung und Unterscheidung von logischen Funktionen und Kategorien aufarbeitete und ihr ihre Stelle in der Funktion des Verstandesvermögens für die Bewahrheitung von Erfahrungserkenntnis in der Gegenstandsbezogenheit allen urteilenden Denkens anweisen konnte. Bemerkenswert ist, daß dort, wo er zentral einen Überblick durch Einteilung in den Tafeln der Urteilsfunktionen und der ihnen korrespondierenden Kategorien als Gegenstandsbegriffe des urteilenden Verstandes gibt, eine nicht urteilende Weise zur Darstellung in Gebrauch nimmt, die nur in für sich gesetzten Begriffen eine Gliederung von Funktionen als Formbedingungen des Urteils angibt. Die Kategorien sind dort, um als Begriffe gedacht und in einer Gegebenheit erörtert werden zu können, außer Gebrauch gesetzt und als Funktionen der Verbindung für deren erst in den Grundsätzen der Urteilskraft für die Erfahrung konstruktive Verbindung reflexiv auseinandergesetzt.(1)

Die darin sich als grundlegend zeigende vierfache Teilung – nach Quantität, Qualität, Relation und Modalität, die zu je drei weiteren Gliederungen führt, kann sich nur in einem systemischen Gefüge rechtfertigen lassen. Die bisherigen Versuche zur Begründung der „Vollständigkeit der Urteilstafel“ von Klaus Reich (1) und anderen wurden für die hier vorgelegte Darstellung aufgenommen und konnten durch die Beachtung der reflexiven Einteilungsstruktur für ihre das Gegenstandsbewußtsein konstituierende Verbindungen, die sich als Ableitungen in erschließender Vereinigung darstellen, zu einer überzeugenden Lösung gebracht werden. Sie berücksichtigt von schon für die interpretatorische Erarbeitung des Argumentationsgangs der Kritik der reinen Vernunft – von der transzendentalen Ästhetik an – die methodisch grundsätzlichen Erwägungen zum Einteilungsverfahren von Begriffen, die uns Bedingungen und Funktionen unserer Vermögen bedeuten.

3.2

Eine Erkenntnisarbeit im Verhalten zu Begriffen, die aus dem Gedächtnis ihres Gebrauchs unter der Bedingung der Identität der Bestimmtheit erfolgt, beschreibt nicht den historischen Bedeutungswandel von Worten im Verhältnis zu sich verändernden Sachverhalten, sondern läßt sich durch Begriffe von notwendigen Bedingungen auf das in Bedeutung beziehen, was unbedingt und allgemein in Gebrauch sein muß, damit wir uns überhaupt auf Begriffe, auf Urteile, auf Vermögen von Verstand, Vernunft und der Erkenntnisse in ihren möglichen Arten beziehen können. Kant nennt solche Selbsterkenntnis, wie erwähnt, eine transzendentale Reflexion.

„Ich nenne alle Erkenntniß transscendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnißart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt. Ein System solcher Begriffe würde Transscendental-Philosophie heißen.“ (KrV Einteilung B 25) Ihre Begriffe sind Begriffe von Erkenntnisarten, beziehen sich also auf sich unterscheidende Erkenntnisermögen. Diese werden aber für die spezifisch transzendentale Überlegungen als im Verhalten zu Gegenständen einbezogen thematisch. Darum begegnen wird in allen drei Kritiken den Gegentandsbeziehungen und es werden alle oberen Erkenntnisvermögen als Vermögen zu urteilen, mithin unter der Vermögensbestimmung des Verstandes zum Thema und somit zum Grund ihrer Kritik.

Sie kann nur gelingen und ein allgemeines Selbstbewußtsein durch transzendentales Verfahren ausbilden, wenn die Begriff der Vermögen in deren Bedingungen jene Verbindlichkeit erhalten können, darin sie in Unverwechselbarkeit untereinander die Idee bedeuten, da sie deren Vermögen als leitend vergegenwärtigt, da wir tun, was wir mit den Begriffen besagen und im Selbstbewußtsein dieses Handelns mit seine Vermögen und Bedingungen bewußt machenden Begriffen die Allgemeinheit des Begriffs, seiner Form entsprechend, in gemeinschaftlicher Verantwortung seines Gebrauchs wahren, beachtend, daß Begriffe durch ihre Identitätsform Träger von Erkenntnisgedächtnissen sind, die mit dem sich zerrüttenden Begriffsgebrauch verloren gehen können und immer wieder neu der Reinigung, der Pflege und Ordnung im sich durch sie selbst Orientierenlassen bedürfen. Die philosophische Arbeit in Vernunft und Urteilskraft als eine Erkenntnis aus Begriffen und für diese – mit Liebe zum Begriffsgedächtnis in erneuertem, reflexiv sich bestimmendem Gebrauch, der durch das „außer Gebrauch“ Setzen und durch die Widerstreite der Thematisierung hindurchgeht, muß Methode der Kritik in der reflexiven Einteilung sein und kann nicht durch bloße Bedeutungsanalysen, nicht als lexikalische Beschreibung von Verständnissen geleistet werden, sondern gibt das Movens seiner Bestimmungsarbeit in der Widmung für die Begriffe in der Achtung ihrer Unersetzbarkeit dem zur Einsicht, der sich an den Überlegungen zu den Einheitsbedingungen der Begriffsfunktionen in Bedeutung und Gebrauch beteiligt und damit an der Methoden, in deren Mitgehen sich die Achtung durch Selbsterkenntnis des unwillkürlichen Gebrauchs erneuernd bildet.

Die kritische Grundlegung einer Ermöglichung zum selbstgemäß sich orientierenden Gebrauch von Vermögen eröffnet eine vernünftige Verantwortung von personalem Handeln in einem dafür sich bildenden Verhaltensvermögen zu wahren, dessen Erkenntnisart nicht, wie in den Wissenschaften von in ihrer Natur sich zu erkennen gebenden Gegenständen, durch die Funktionseinheit des Verstandesgebrauchs in Urteilen in ihrer Erkenntnisart formal bestimmt sein kann.

Den einleitende Weg dahin, der zugleich eine Beweisführung der Stimmigkeit der schematischen Darstellung des System der Ideen von Vermögen in jenen Teilen, die Zusammenstimmung von Verstandes- und Urteilsvermögen als Erkenntnis ermöglichend betreffend, sein wird, stellen wir unter den Titel der Erschließung von „Funktionen der Einheit“, denn:

„Die Functionen des Verstandes können (...) insgesammt gefunden werden, wenn man die Functionen der Einheit in den Urtheilen vollständig darstellen kann.“ (A 69, B 94)




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1  Zur Struktur vergleiche R. Brandt: D‛Artagnan und die Urteiltafel. 

2  Klaus Reich, Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel (1932) – Wie die nachstehende Arbeit zeigen wird, bedarf es aber keiner Umkehrung der Gliederungsfolge der Funktionen bzw. Kategorien, wie sie Reich vornimmt. Vielmehr werden sich aus dem Begriff des Urteils als Verbindung von Begriffen zu einem Begriff, der die Gegenstandsbeziehung in einem Bewußtsein von Gegebenem wahrt, zuerst Funktionen der Quantität ergeben und die weiteren als Funktions- und Einheitsbedingungen erschließen lassen, ohne die kein Urteil sein und bewußt sein kann. Wichtige Hinweise verdankt die Arbeit auch den eingehenderen Publikationen zum Problem der Vollständigkeit von Reinhard Brandt (1991) und Michael Wolff (1995), die beide ihre Aufmerksamkeit der metaphysischen Deduktion widmen, es aber versäumen, sie auch methodisch ausreichend in den Gesamtzusammenhang der Architektonik der Kritik zu stellen. Dieter Henrich hat dies in seiner Berliner Rede auf dem Kantkongress im Jahre 2000 eingefordert. Wir versuchen dem in Beachtung der Systematik der Kritik als einer Kritik von Vermögen zu entsprechen und nehmen in diesem Band den Zusammenhang von Ästhetik in den Formbegriffen der Sinnlichkeit und die Analytik der Funktionen und Begriffe des Vestandes bis hin zur Amphibolie der Reflexionsbegriffe von der Hauptaufgabe der Unterscheidung von Kategorien und Ideen (Prol § 41) her in den Blick. Aus dieser Aufnahme des Systemanspruchs der Kritik lassen sich dann wichtige, bisher nicht befriedigend gelöste Frgen, wie etwas zur Beweisstruktur der transzendentalen Deduktion der Kategorien in ihren Schritte zwischen §§ 21-27 lösen. Wie dies durch das Beachten der Unterscheidung von „Einer empirischen Anschauung“ (§ 20) als Verhältnis im Begriff Eines Objekts und der Erfahrung „aller“ Gegenstände sich mit dem Übergang von Qualität zur Relation in der Ableitung der Kategorien ergibt, das werden wir unten in Kapitel XIII zeigen.